gute Kunst muss neu sein? - Irrtum!

Da ja niemand kopieren und Ideen klauen möchte, muss demnach alles was auf Bestehendes folgt absolut neu und innovativ sein, oder nicht? Wie schwierig das ist zeigt mein Beitrag vom 09.07.2016 "unbewusst geklaut", denn selbst wenn man sich selbst zu einem Thema Gedanken macht und diese praktisch umsetzt, ohne sich Positionen von anderen Künstlern anzusehen, heißt das weder, dass es keine anderen künstlerischen Positionen zu dem Thema gibt, noch, dass nicht jemand schon eine ähnliche Umsetzung durchgeführt hat.

Aber ist es wirklich so schlimm an Bestehendes anzuknüpfen, ob denn nun bewusst oder unbewusst sei dahingestellt? NEIN! Kunst muss nicht Neues bieten, sagt Hanno Rautenberg, Journalist, Autor, Architektur- und Kunstkritiker. 

Schauen wir zunächsteinmal, wie es sich in anderen künstlerischen Bereichen verhällt. Hierzu möchte ich auf die Musik und die Lyrik eingehen:

Lyrik

Betrachtet man das Schreiben von Lyrik nicht als Produkt von Gefühl und Erlebnis sondern als Arbeit mit Worten, Rhetorik und Tradition, so steht schnell fest, dass Lyrik immer an Altes anknüpft. Bei Worten und Rhetorik wird mir zweifellos jeder zustimmen, der eine Gedichtanalyse in der Schule schreiben musste. Aber was hat es denn nun mit der Tradition auf sich?

Als Beispiel dafür möchte ich hier das Sonett anführen:

Die im 13. Jahrhundert in Italein durch Francesco Petrarca bekannt gewordene Gedichtsform bestehend aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in vier Sprophen zu  je zwei Quartetten und Terzetten aufgeteilt sind, machte ihren Weg von dort aus nach England, in das Barrock Deutschlands, um schließlich auch in seiner Form in den Niederlanden, Skandinavien und   den slawischen Ländern bekannt und populär zu werden.

Nicht nur die Form des Sonetts unterliegt einer Tradition, sondern auch ihr Inhalt. So schreib F. Petrarca als erster einen durchkomponierten Gedichtszyklus über die schmerzensreiche Anbetung einer unerreichbaren Geliebten.

William Shakespeare  führte diese Tradition fort, wenn auch in abgewandelter Form: In seinen Sonetten ist es nicht sicher, ob es sich um eine Geliebte oder einen Geliebten handelt. Egal wer es auch sei, hier wird die Liebe erwiedert. Die Liebenden sind gleichgestellt. Im Gegensatz zu F. Petrarca spricht W. Shakespeare allerdings die Vergänglichkeit der Liebe und der Schönheit an.

Hieran knüpft nun Christian Hoffmann von Hoffmanswaldau, ein schlesischer Lyriker aus dem 17. Jahrhundert, an und führt die Tradition auf eine suptil erotische Weise fort.

Diese Aufreihung könnte man sicherlich noch bis in die Jetztzeit fortführen...

Entscheidend ist, dass sich alle genannten Lyriker an eine bestimmte Tradition des Aufbaus, des Inhaltes und ja sogar der Bildsprache, den Topoi, orientiert haben. Demnach hat keiner von ihnen etwas innovativ "Neues" geschafften, trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb?) sind ihre Werke bekanntes Kulturgut und in der Literaturgeschichte fest verankert. 

Musik

Was in der bildenden Kunst strengstens verboten ist, ist in der Musik absoluter Usus. Ich rede hier vom gnadelnosen kopieren von Stücken und Liedern.

Kein Musikschüler kommt an den Klassikern vorbei, kein Klavier- unterricht an Bach, Mozart oder Chopin. 

Allerdings ist das nicht mein Fachgebiet, daher halte ich mich hier nur so kurz.


Jahrhundertelang wurde und wird in der Kunst Traditionen gefolgt. Als Beispiel lassen sich hier die vielen verschiedenen Mariendarstellungen nennen. Hier einige Beispiele für Maria/ Madonna mit dem Kind:

Giotto, Thronende Maria mit Kind zwischen Engeln und Heiligen (Ognissanti-Madonna), Florenz, um 1300/1310

Giotto Ognissanti Madonna

Trotz der unendlichen Wiederholung der Darstellung verliert die Madonna nichts an Lebendigkeit.

Jan van Eyck, Die Madonna in der Kirche, Berlin, 1415-1435

Jan van Eyck - The Madonna in the Church - Google Art Project

Wie kommt es dann, dass ein solches Vorgehen als traditionalistisch verschrien wird? Oder andersherum:

Wie kommt es, dass wir Neu direkt mit Gut assoziieren?

Sind wir doch ehrlich, wer möchte denn das alte iPhoe, wenn es schon ein neues gibt? Neu = Gut? = Fortschrittlicher = Moderner = Besser?

Zurückzuführen ist dies auf das 19. Jahrhundert. Kunst als Schüler von Industiralisierung und Imerialismus hat gelernt fortzuschreiten und zu erobern. Seitdem muss es immer nach vorne gehen, aber niemals zurück, denn das Neue impliziert ein Verdrängen oder gar Mord des Alten.

Die vermeidliche Freiheit, die das neue mit sich bringt unterliegt auf der anderen Seite einem Zwang, nämlich dem, des "permanenten Traditionsbruches", "zu einer Ästhetik der Abweichung, die dem Künstler alles erlaubt, nur eines nicht: vom Gebot der Abweichung abzuweichen." (H. Rautenberg, 2008) Somit liegt der Sinn im Schaffen etwas Neuen allein in der Tätigkeit dessen. Aber ist das als Qualitätsmerkmal ausreichend? Neu zu sein, ohne eine Bedeutung zu tragen bedeutet nichts. Bedeutung gehört aber immer zwangsläufig zu Kunst dazu.

Somit heißt neu sein nicht automatisch gut sein. Demnach ist es manchmal vielleicht sogar besser sich Inspirationen bei anderen Künstlern zu abzugucken, Bezüge herzustellen oder Studien zu fertigen, damit das Werk nicht als bedeutungsloses Neues abgestempelt wird sondern einen  Sinn verfolgt.

 

Die Ideen zu diesem Beitrag beruhen auf einer Publikation von Hanno Rautenberg, ins Besondere gehe ich hier auf Irrtum Nr. 2 ein. Die Literaturangabe dazu findest Du unter "Literatur".

 

Das Thema der Mariendarstellung interessiert dich genauer? In Sabine Poeschels Buch über Ikonographie und Stefano Zuffis (Hrsg.) Buch über Heilige findest du mehr Informationen darüber. Die genaue Literaturangebe findest Du unter "Literatur".

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