Nuda Veritas

"Wer über mich als Künstler etwas wissen will, der soll meine Bilder aufmerksam betrachten und daraus zu erkennen suchen, was ich bin und was ich will." (Klimt)

 

Wagen wir doch den Versuch am Beispiel der "Nuda Veritas" - der nackten Wahrheit.

 

Gustav Klimt - "Nuda Veritas" - 1898 - Zeichnung - 20 x 4,5 cm - Aus "Ver Sacrum", Heft Nr. 3, März 1898, Seite 12

 

Albrecht Dürer - "Eva" (Detail) - 1507 - Öl auf Holz - 209 x 83 cm - Museo del Prado - Madrid

Nackt ist nicht nur der Name, sondern auch Programm des Bildes. Die nahezu lebensgroße Protagonistin des Gemäldes ist vollkommen nackt. Nacktheit ist der natürliche und unschuldige Zustand des Menschen, da jeder Mensch nackt geboren wird. Auch Adam und Eva waren vor dem Sündenfall nackt im Paradis. Es kann also auch als ein Symbol der Reinheit, unverhüllter Realität und der Wahrheit gesehen werden. 

Zu den Füßen der Nuda Veritas finden wir ihren Gegenspieler, die Schlange. Sie ist das symbolisch wohl aufgeladenste Tier. Die Interpretation der Schlange wird  oft sehr negativ ausgelegt, so gilt sie als Symbol für Lüge, Verrat, Verführung... Die Schlange der Versuchung führt den Sündenfall herbei, indem sie Eva überredet den Apfel vom Baum des Lebens zu essen. Unten links im Bild gibt die Schlange Eva eben jenen. Maria, die Mutter Gottes, befreit uns von diesem Sündenfall, daher wird sie oft stehend auf der Schlange dargestellt, eines ihrer Erkennungsmerkmale. Triumphal steht sie über ihrem Widersacher dem Bösen.

Zurück zu unserer Protagonistin: In ihrer rechten Hand zeigt sie dem Betrachter einen Spiegel. Der Spiegel gilt als Symbol für "die innere oder diskursive Erkenntnis (...). Moralisch gesehen wird er in der Regel negativ eingesetzt" (Zuffi). Nicht umsonst heißt es sprichwörtlich: jemandem den Spiegel vorhalten.

Als letztes großes Element des Gemäldes darf das Zitat von Schiller nicht unerwähnt bleiben: "Kannst du nicht allen gefallen durch deine That und dein Kunstwert, mach es wenigen recht. Vielen Gefallen ist schlimm." Mit Hilfe dieser klaren Aussage können wir nun alle oben genannten Elemente miteinander verbinden: Wir haben also eine unverhüllte, reine Frau, die vom Bösen in Form der Schlange zu beeinflussen versucht wird. Während sie dem Betrachter durch den Spiegel sein eigenes Tun vorhält.

 

Das Motiv ist keine Neuheit. Bereits ein Jahr vor der Fertigstellung des Gemäldes erschien die "Nuda Veritas" als Zeichnung in der Zeitschrift "Ver Sacrum". Damals jedoch mit dem Zitat von Scheffer: "Wahrheit ist Feuer und Wahrheit reden heisst leuchten und brennen". Bereits diese erst Version traf auf Entsetzen. Sie wurde als "Dämon der Secession" bezeichnet. Die zweite jedoch zeigt einen gefährlich intuitiven Frauentypus. Das Publikum war ob der provozierenden Nacktheit, den ausladenden roten Haaren und der Scham schockiert. Das Zitat nimmt ihre Reaktion sogar schon vorweg: den meisten hat es nicht gefallen.

 

Aber was hat das nun mit Klimt als Künstler zu tun?

 

Ich hole mal ein wenig aus: Klimt war zwar einer der einflussreichsten Künstler seiner Zeit in Wien, allerdings heißt das nicht, dass alle seine Arbeit gut fanden. Die Menschen waren so viel nackte Haut die lasziv und schamlos zur Schau gestellt wird damals nicht gewohnt. Nicht selten kam der Vorwurf seine Werke seinen pornographisch. Viele, wie beispielsweise "die Hoffnung I" wurden lange Zeit nur hinter verschlossenen Türen einem ausgewählten Publikum als Event gezeigt. Vor allem die sogenannten Fakultätsbilder für die Decke des großen Festsaals der Universität Wien ernteten so viel Kritik, dass Klimt die Deckengemälde wieder zurückkaufte. Er selbst sagte zu diesem Vorfall: "Die Hauptgründe, die mich zur Rückgabe meiner Deckengemälde bestimmten ... sind nicht in einer Verstimmung zu suchen, welche die verschiedenen Angriffe ... in mir hervorgerufen haben könnten. Das alles hat mich seinerzeit sehr wenig berührt ... Ich bin gegen Angriffe  überhaupt sehr unempfindlich ...". Wegen seines offenen Kampfes "die Prüden durch die Darstellung sexueller Archetypen zu verletzen" (Néret) wurde er niemals zum Professor der Kunsthochschule ernannt. Nichtsdestotrotz steht er darüber und zeigt seinen Kritikern durch die "Nuda Veritas" den Spiegel der nackten Wahrheit vor. Das Schiller Zitat bekräftigt es: Er will nicht allen gefallen, denn das ist schlimm. 

 

Gustav Klimt - "Nuda Veritas" - 1899 - Öl auf Leinwand - 252 x 56,2 cm - Österreichisches Theatermuseum - Wien

Giovanni Battista Tiepolo - "Die Unbefleckte Empfängnis" - 1767/8 - Fresco - Königspalast Madrid


Das ganze Auftreten der Protagonistin in "Nuda Veritas" unterscheidet sich von den meisten seiner Frauenbildnisse. Sie ist weder die klassisch portraitierte Ehefrau, noch eine sich windend räkelnde Verführerin, wie es in den Unterwasserbildern der Fall ist. Am ehesten lässt sie sich im der "Pallas Athene" in eine Kategorie fassen. Eine starke, intuitive, fast schon gefährliche Frau, die dem Betrachter überlegen durchdringt. Und doch ist die "Nuda Veritas" keine Göttin, sondern scheint aus Fleisch und Blut zu sein.

Oben seht ihr dann nun endlich auch meine Version des durchdringenden Auges der "Nuda Veritas". 

 

Die leuchtenden, dunkel umrahmten Augen der nackten Wahrheit haben mich fasziniert. Obwohl sie den Betrachter nicht anzuschauen scheint durchdringt einen der Blick. Sie sieht nicht den Menschen sondern blickt vielmehr in ihn hinein oder vielleicht durch ihn hindurch?

 

Klimt - Pallas Athene

Gustav Klimt - "Pallas Athene" - 1898 - Öl auf Leinwand - 75 x 75 cm - Historischen Museum der Stadt Wien - Wien



Eine kurze Info zu Klimt findest du unter Künstler.

Die genaue Literaturangaben zu dem zitierten Texte von Nerét findest du in meiner Bibliothek.   

Wenn du mehr über die Symbolik von Spiegeln, Schlangen und Nacktheit nachlesen möchtest, schau mal in Band 3 und 6 von Zuffis Bildlexikon Reihe. Auch hierzu die genaue Literaturangabe in der Bibliothek

Teile die Seite mit deinen Freunden:

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Markus Messerschmidt (Sonntag, 01 November 2020 22:53)

    Vielen Dank für den schönen Artikel. Hab mich sehr gefreut darüber! Sehr lange hab ich im Web nach einer treffenden Interpretation der "Nuda Veritas" gesucht...

    Im Leben ist es ja manchmal/oft nicht so leicht und angenehm, man selber zu sein. Und sichtbar zu sein. Mir geht es grad so - und hab mich deswegen auf die Suche gemacht, nach Menschen, die Wege gefunden haben, mit Skepsis, Zynismus, Nihilismus umzugehen.

    Ich werd mir ne Leinwandkopie der "Nuda Veritas" in meine Wohnung hängen :).

    Mit den besten Grüßen,
    Markus