Bilder des Alltags

Hallo meine Lieben! In meinem letzten Beitrag habe ich kurz umrissen, was die Aufgabe von Schule und dessen Unterricht ist: zum einen geht es um das Transferiren vergangener Kulturgüter auf die nächste Generation - also mit einem Blick in die Vergangenheit - zum anderen aber auch um eine Vorbereitung auf die Zukunft. Für den Kunstunterricht ist der Blick in die Vergangenheit, der Blick in die Kunstgeschichte ganz natürlich und selbstverständlich. Wie sieht es aber mit der Zukunft aus? Wie hätte man die Menschen des frühen 20. Jahrhunderts auf die Readymades von Duchamp vorbereiten können? Wie die Gesellschaft der 60er Jahre auf Beuys Happenings? Wie also kann man Schüler auf Bilder im weitesten Sinne vorbereiten, die es noch nicht gibt und von dem man noch nicht weiß, welche Form es haben wird?

Schauen wir uns den Kunstkanon an, so werden "die Meisterwerke der Kunstgeschichte (...) nicht durch neuere verdrängt - wie etwa in der Wissenschaft neue Erkenntnis ältere ersetzt, der Kanon wird einfach erweitert" (Billmayer 2008, 18). Dabei spielt die Kunst für die Gesellschaft in ihrer gesamten Breite kaum noch eine Rolle und wird nur von wenigen "als Zeichen für guten Geschmack und als Zeugnis einer besonderen Bildung" (Dewey 2003, 16) benutzt. Die Beschäftigung mit der Kunst ist also etwas, was die wenigsten von uns heute im Alltag wirklich noch tun. Dewey geht sogar so weit Kunstwerke als Statussymbole und den "typeische(n) Sammler" als "typische(n) Kapitalist(en)" (Dewey 2003, 15) zu bezeichnen. 

Die Zweige der Kunst, denen der Durchschnittsmensch unserer Tage vitalstes Interesse entgegenbringt, werden von ihm nicht zur Kunst gezählt: Zum Beispiel Filme, moderne Tanzmusik, Comics und allzu oft auch Zeitungsberichte über Lasterhöhlen, Morde und Gangstergeschichten" (Dewey 2003, 12)


Diese Liste ließe sich heute wohl noch durch die Punkte z.B. aus dem social Media Bereich erweitern:

  • Instagram
  • Netflix
  • Youtube
  • Computer-/ Konsolenspiele
  • ...

Auch Franz Billmayer sieht z.B. Werbung, Mode, Fernsehprogramme, etc. als aktuelleren und relevanteren Marker für den Zeitgeist als Kunstwerke, da diese auf den Markt reagieren (Billmayer 2003, 27). Die Wirtschaft hat sich längst Erkenntnisse aus der Hirnforschung, Entwicklungs-psychologie, Verhaltensbiologie, Attraktivitätsforschung und der Kunstwissenschaft zu eigen gemacht, um uns visuell und emotional näher zu kommen. Hier mal ein Beispiel: Die mit menschlichen Zügen ausgestatteten Emotionen aus dem Disney Pixar Film "Alles steht Kopf" verfolgen die menschliche Faszination für Menschen und Gesichter, die aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt. Außerdem bedienen sich die Figuren des Kindchenschemas - wie übrigens die meisten Figuren aus Disney Filmen. Aus der Verhaltens-biologie ist bekannt, dass die Physiognomie, Mimik und Gestik von Kleinkindern bei Erwachsenen ein Beschützer-verhalten hervorrufen. Auch hier wird an unsere Emotionen appelliert. Zusätzlich ist Freude von einem Leuchten umgeben, dass wir aus der Kunstwissenschaft von Heiligendarstellungen kennen. Hier wird eine bekannte Tradition weitergeführt. 

Kindchenschema
Kindchenschema

Geertgen tot Sint Jans - "Geburt Christi" - ca. 1490 - Öl auf Holz - 34 x 25 cm -  National Gallery - London

Im Vergleich zu den Bildern, die uns im Alltag begegnen - voller "Emotionen, sinnlichen Erlebnissen und einer betonten Körperlichkeit" - scheint der Kunstunterricht "eher langweiliger Mainstream" zu sein. Gegen die Bilder des Alltags ist er fast konkurrenzlos (Billmayer 2008, 25). Nicht zuletzt, da die Bilder des Alltags für Schüler greifbarer und verständlicher sind als bspw. Gemälde aus dem Barock. Der Lebensweltbezug ist hier das entscheidende Stichwort. Selbst ich, als Kunststudentin kann mich der Dominanz der Alltagsbilder im Vergleich zu den Bildern der Kunst nicht entziehen, wie mein Beitrag zu meinem London Trip zeigt. Die Bilder, die mir auf der Straße begegnet sind haben auf mich eine größere Anziehung ausgeübt als die im Museum.

Warum also die Bilder des Alltags aus dem Unterricht verbannen? Nicht, weil Schüler diese evtl. interessanter finden würden und man sie als Konsumenten von Unterricht mit dem Material füttern möchte nach dem sie verlangen, sondern um eine kritische Auseinandersetzung und Reflexion mit den im Alltag konsumierten Bildern herzustellen, um im Sinne einer kritisch-aufklärerischen Bildung "die Mechanismen, denen wir ausgesetzt sind, als solche zu artikulieren, zu beschreiben, (...) zu erkennen" (Kunstforum International 2008, 189). Gelingt es uns Schülern zu vermitteln wie und warum Bilder konsumiert wurden und werden, sind sie vielleicht eher auf die Bilder der Zukunft vorbereitet. 



Die genauen Angaben zur Literatur von Billmayer, Dewey und dem Kunstforum International findest du wie immer in meiner Bibliothek

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